Beschäftigungsverbot

Beschäftigungsverbot oder brauchen wir bald das bedingungslose Grundeinkommen?

Das Mutterschutzgesetz (MuSchG) gilt in Deutschland für alle in einem Arbeitsverhältnis stehenden (werdenden) Mütter. Diese, bereits 1952 in Kraft getretene und weitere Regelungen zum gesundheitlichen Schutz werdender Mütter vor Gefahren, Überforderung und der Einwirkung von Gefahrstoffen am Arbeitsplatz finden sich unter anderem in der Verordnung zum Schutze der Mütter am Arbeitsplatz (MuSchArbV).

Sie sollen in erster Linie die Gesundheit der werdenden Mutter am Arbeitsplatz und dadurch auch die Gesundheit des ungeborenen Kindes im Mutterleib, schützen.

Es macht selbstverständlich Sinn, den Arbeitsplatz auf alle eventuellen Gefahren hin zu beurteilen und Schwangere vor Röngtenstrahlen, Chemikalien oder anderen bekannten Gefahrenstoffen zu schützen bzw. fern zu halten und der Arbeitsnehmerin im Fall einer bestehenden Gefahr auch einen anderen Arbeitsplatz anzubieten, soweit das überhaupt betrieblich möglich ist.

Schwangerschaft ist zwar medizinisch gesehen nach wie vor keine Erkrankung, wird aber heutzutage oft als solche wahrgenommen. Natürlich kann man auch während der Schwangerschaft erkranken. Man erhält dann die übliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, sowie eine 100%-ige Lohnfortzahlung, allerdings auch nur bis zu einer Dauer von 6 Wochen, danach zahlt die Krankenkasse nur 70% des Lohnes für maximal 78 Wochen.

Und hier beginnt das Problem: Ist man während der Schwangerschaft länger als 6 Wochen krank, macht sich das im Portemonnaie bis zur Geburt deutlich bemerkbar. Den Arbeitgeber[1] „schmerzen“ nur die ersten 6 Wochen, dann ist er „raus“.

Tatsächlich bezahlen wir natürlich alle, sowohl über die Beiträge zu den Sozialversicherungen, als auch über unsere Steuern. Aber das entzieht sich immer mehr dem öffentlichen Bewusstsein. Volkswirtschaftlich betrachtet ist die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall nach wie vor die mit weitem Abstand teuerste, ausschließlich vom Arbeitgeber finanzierte, Sozialleistung.[2]

Ist die Schwangere immer wieder alle paar Wochen krank und das scheint heutzutage bei jeder nicht selbstständig tätigen Schwangeren immer öfter der Fall zu sein, dann freut sich natürlich jeder Arbeitgeber irgendwann über ein Beschäftigungsverbot. Denn in diesem Fall zahlt auf jeden Fall nur noch die Krankenkasse und man erhält wieder Planungssicherheit für den Betrieb.

Vor ca. 15 Jahren hörte ich erstmals im näheren Umfeld von einem Beschäftigungsverbot bei einer Kollegin. Zu meiner Klinikzeit, in den 80-iger Jahren, arbeitete man zwar dann auch nicht mehr im Röntgenbereich, durchaus aber auf den anderen Stationen und freute sich höchstens auf die 6 Wochen Mutterschutz vor und 8 Wochen nach der Geburt, falls man keinen Erziehungsurlaub geplant hatte. Von Seiten aller Arbeitnehmerinnen dürfte ein Beschäftigungsverbot auch damals eher die Ausnahme gewesen sein. Seit einigen Jahren jedoch hat es sich offenbar herum gesprochen, dass dies jedoch eine „win-win-Situation“ darstellt: die Arbeitnehmerin muss nicht mehr arbeiten, erhält bis zur Geburt den vollen Lohnausgleich zuzüglich des nicht genommenen, meist fast kompletten Jahresurlaubes und den Arbeitgeber kostet es nicht einen Cent! Es stellt sich hier die Frage, warum man in diesem Fall zusätzlich den kompletten Jahresurlaub anspart, wo doch Urlaub dazu dient, sich von der Arbeit zu erholen, was ja mit einem Beschäftigungsverbot per se dann bereits gegeben ist.

Wurde dieses Verbot in den letzten Jahren gefühlt meist in der zweiten Schwangerschaftshälfte erteilt, hat man den Eindruck, dass es in jüngster Zeit unmittelbar mit Feststellung der Schwangerschaft ausgesprochen wird. Dieser Eindruck wurde mir auch von Verwaltungsangestellten der verschiedenen Krankenkassen sowie gynäkologischen Kollegen bestätigt.

Laut Gesetz darf ein solches Beschäftigungsverbot nur ausgesprochen werden, wenn der Arbeitsplatz das Leben oder die Gesundheit von Mutter und/oder Kind gefährdet. Was aber, wenn das nicht der Fall ist und die Gefährdungsbeurteilung des Arbeitsplatzes dies ausschließt? Dann werden die Kollegen der Neurologie, Psychiatrie und/oder Psychotherapie konsultiert, denen man nur glaubhaft versichern muss, dass der Arbeitsplatz Unwohlsein, Stress, Angst oder sogar Depressionen verursacht. Kann der Kollege dann noch guten Gewissens eine Gefahr für Mutter und Kind 100%-ig ausschließen? Da heute auch fast jeder Patient nicht nur kranken- sondern auch rechtsschutzversichert ist, sollte man hier kein unnötiges Risiko eingehen, zumal man auch noch die Kündigung der eigenen Haftpflichtversicherung riskiert. Schnell werden solche Tipps weitergegeben und dadurch immer häufiger kopiert.

Wir erleben hier eine neue Form der Sozialstaatsausbeute, die unserer Gesellschaft auf Dauer volkswirtschaftlich schaden wird.[3] Selbst wenn dies für die Betriebe scheinbar keine Kosten in Form einer Lohnfortzahlung verursacht, so muss dennoch eine Ersatzkraft gesucht und angelernt und der Arbeitsplatz frei gehalten werden. Für kleine Betriebe mit mehreren weiblichen Angestellten im „gebärfähigen Alter“ kann dies auch schon mal existentiell werden. Abgesehen davon ruft ein solches Verhalten bei den Kollegen, die die Mehrarbeit in einem solchen Fall leisten müssen, weder Verständnis noch Mitleid hervor, sondern erzeugt eher nur Unmut. Nehmen immer mehr Betroffene dies in Anspruch, erhöhen sich zwangsläufig auch die Umlagen,[4] was dieses Gesetz irgendwann ad absurdum führt.

Als Mutter von drei Kindern kann ich sehr gut nachvollziehen, dass man seine Schwangerschaft lieber zu Hause als auf der Arbeit „genießen“ möchte, vor allem bei der ersten. Es bedarf keinerlei Diskussion, dass einer werdenden Mutter ein Beschäftigungsverbot erteilt wird, wenn sie arbeitsbedingt mit giftigen Stoffen, Strahlungen, infektiösem Material, dem Heben schwerer Lasten oder einer ausschließlich stehenden Tätigkeit ausgesetzt ist. Allerdings ist es m.E. einer Schwangeren durchaus zuzumuten, einer gewöhnlichen Bürotätigkeit oder auch einer Tätigkeit nachzugehen, die den Körper nicht schwer belastet.

Ein Wandel in einer Gesellschaft kommt selten über Nacht, sondern vollzieht sich schleichend. Wir Ärzte haben in den letzten Jahrzehnten einen oft allzu lockeren Umgang mit Krankmeldungen und Attesten gepflegt, meist aus simpler Empathie. Auch aus Angst vor juristischen Konsequenzen, die spürbar in den letzten Jahrzehnten zugenommen haben. Und wie soll man denn auch subjektive Beschwerden wie Schmerzen, Schwindel, Übelkeit … nachweisen? „Wenn man selbst nicht krank[5] schreibt, dann macht es eben der Kollege“, lautet oft die Schulter zuckende Antwort.

Wir sind heute empathischer geworden, das ist zunächst zu begrüßen. Aber wir muten auch uns selbst und unseren Mitmenschen weniger zu als früher. Eltern verwöhnen ihre Kinder, Lehrer ihre Schüler und eben auch Ärzte ihre Patienten ….

Das scheint dem natürlichen gesellschaftlichen Wandel geschuldet. Was dabei aber auf der Strecke blieb, ist die Verantwortung. Kaum jemand fühlt sich mehr für sein eigenes Tun und Handeln verantwortlich, immer ist irgendjemand schuld an der eigenen Misere. Im Zweifel die Gesellschaft. Und alles ist gefühlt „ungerecht“ geworden.[6] Das große Füllhorn immer großflächiger auszuschütten, schafft natürlich mehr Sympathien, als einmal gewährte Unterstützung wieder wegzunehmen. Was bereits einmal zur Gewohnheit wurde, lässt sich nur gegen Widerstand zurücknehmen, das ist bekannt und nur allzu menschlich.

Unser Sozialsystem an sich ist gut, weniger gut ist die Haltung eines Teils der Bevölkerung zu diesem. War es früher nur zur Absicherung in Notfällen (Krankheit, Arbeitslosigkeit … ) gedacht, so „steht es heute jedem zu“. Eine Solidargemeinschaft funktioniert aber nur, wenn nicht jeder seinen eingezahlten Teil aus dem Topf beansprucht.

Wenn das nun so ist, dass nur noch wenige Menschen in diesem Lande arbeiten möchten, man sich aber trotzdem alles leisten möchte, dann wäre vielleicht doch ein bedingungsloses Grundeinkommen sinnvoll[7], damit nur noch die arbeiten, die es wirklich wollen. Damit würden ja auch auf einen Schlag sämtliche Sozialleistungen entfallen und mit ihnen ein gewaltiger Verwaltungsapparat. Auf diese Art und Weise würden Begehrlichkeiten und Neiddebatten ebenfalls auf einen Schlag verschwinden. Diejenigen, die mehr haben möchten, dürfen arbeiten. Nicht müssen, sondern dürfen! Studien haben ja bereits ergeben, dass mit dem bedingungslosen Grundeinkommen die Menschen ihren Neigungen nachgehen würden und gerne und freiwillig arbeiten würden,[8] um mehr zu verdienen.

Allerdings frage ich mich, ob es dann noch genug Menschen geben wird, deren Neigung es ist, unseren Müll zu entsorgen, Abwasserkanäle zu reinigen, für andere Tag und Nacht den Kopf hinzuhalten, damit diese in Sicherheit leben können …

Solange wir noch keine Technologien entwickelt haben, die all diese Tätigkeiten ersetzen, werden wir wohl eine andere Lösung finden müssen oder wir warten einfach bis das System sich selbst zerstört.

Helga Wollring


[1] Aus Gründen der Lesbarkeit wurden im Text nur männliche Formen gewählt, nichtsdestoweniger beziehen sich alle auch nachfolgenden Angaben auf Angehörige beider Geschlechter.

[3] Selbstverständlich gibt es auch berechtigt ausgesprochene Beschäftigungsverbote.

[4] Die Umlage U1 in Deutschland ist ein finanzieller Pflichtbeitrag bestimmter Arbeitgeber zur solidarischen Finanzierung eines Ausgleichs für die Arbeitgeberaufwendungen im Falle der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall an Arbeitnehmer. An dem Umlageverfahren nehmen diejenigen Arbeitgeber teil, die in der Regel nicht mehr als 30 Arbeitnehmer beschäftigen. Haben die teilnehmenden Arbeitgeber ihren Arbeitnehmern Entgeltfortzahlung bei Krankheit zu leisten, erstatten ihnen die Krankenkassen auf Antrag aus der Umlage zwischen 40 und 80 % der Aufwendungen. Die Höhe des Erstattungssatzes richtet sich nach dem vom Arbeitgeber gewählten Prämiensatz der jeweiligen Krankenkasse. Es handelt sich also um eine Entgeltfortzahlungsversicherung für Arbeitgeber. Durch dieses im Aufwendungsausgleichsgesetz geregelte so genannte U1-Verfahren soll verhindert werden, dass kleinere Arbeitgeber durch die Erfüllung der Entgeltfortzahlungsansprüche ihrer Arbeitnehmer finanziell überlastet werden. (Quelle: Wikipedia)

[5] Gemäß dem Statistischem Bundesamt waren 2015 Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen in Deutschland durchschnittlich 10 Arbeitstage krank gemeldet. Diese Zahl umfasst aber nur Meldungen ab dem 3. Tag, d.h. die Zahl liegt deutlich höher. Am seltensten krank sind Selbstständige. Das sagen nicht nur die Statistiken, sondern das kann man auch im Freundes- und Bekanntenkreis und unter den eigenen Patienten und Patientinnen beobachten. Das liegt aber nicht daran, dass Selbstständige grundsätzlich wohlhabender sind und Reiche weniger krank, wie uns das Politiker gerne glauben lassen wollen, sondern es liegt ganz einfach daran, dass krank sein für Selbstständige direkte Konsequenzen hat, nämlich „no work, no money“. Erwachsene erzieht man eben nur mit Geld. Zahlt ein anderer, fällt die Entscheidung meist leichter. „You get what you pay for“ sagen die Amerikaner.

[6] Nicht umsonst erklärt die SPD die soziale Gerechtigkeit zum Wahlslogan. Aber ist Gerechtigkeit nicht per se sozial?

[7] Dies müsste aber mindestens 1.500 € netto oder mehr pro erwachsenen, allein Lebenden betragen, wenn alle anderen Zuschüsse damit wegfallen würden.

[8] Das wird gerade in Finnland mit 2000 auserwählten Arbeitslosen getestet. Allerdings mit nur 560 € im Monat, was daher nicht erfolgsversprechend erscheint, sondern nur den Statistiken helfen wird.